Vertrauen
Hallo und willkommen zu meinem Blog!
Der Impuls, über das Thema Vertrauen zu schreiben, kam aus dem Feedback zu meinem letzten Blogbeitrag. Nach meinem Beitrag über Onlinedating erhielt ich durchwegs positive Rückmeldungen. Viele Leser:innen haben ähnliche Beobachtungen und Erfahrungen gemacht. Eine ehrliche Kritik kam von meinen engsten Vertrauten - sie bemerkten einen gewissen Frust in meinen Worten. Dies ist zutreffend. Meine Erfahrungen mit Onlinedating haben mein Vertrauen in diese Plattformen zur Partnersuche erschüttert, aufgrund wiederholter herabwürdigender und verstörender Erlebnisse. Eine verträumte und romantische Karin findet sich in einer entromantisierten Welt, in der Menschen aussortiert, schnell ersetzt und plötzlich geghostet werden, einfach nicht wohl. Und ja, ich finde es genauso seltsam, von mir in der dritten Person zu sprechen.
Ich habe mich also dabei ertappt, selbst trust issues zu haben. Während es mir gelingt, immer wieder neue Freundschaften zu schließen, auf fremde Menschen zuzugehen und Kontakte herzustellen, meinen langjährigen Freunden und meiner Familie fast blind zu vertrauen, habe ich beim Thema Onlinedating eine sehr ambivalente Meinung. Mein Vertrauen in das Gute im Menschen, zumindest die Onlinedating-Community betreffend, ist abhanden gekommen.
Wir brauchen für zwischenmenschliche Beziehungen Vertrauen, damit Freundschaften und Beziehungen funktionieren. Für neue Begegnungen bedarf es eines gewissen Vertrauensvorschusses und setzen dabei auf das Gute im Menschen. Unsere Fähigkeit, Vertrauen aufzubauen, hängt oft von unseren bisherigen Erfahrungen ab. Das Urvertrauen, das wir in den ersten Lebensjahren entwickeln, spielt eine entscheidende Rolle für unsere emotionale Stabilität und soziale Entwicklung. Der von E. H. Erikson eingeführte Begriff des „Urvertrauens“ sagt also sehr viel über unsere Fähigkeit aus, ob wir uns auf Beziehungen mit anderen Menschen einlassen und Nähe zulassen können.
Nun scheint es, als würden manche von uns in vertrauensvoller Seligkeit durchs Leben schreiten, während sich andere sehr viel schwerer damit tun. Woran liegt das? Liegt der Ursprung für Vertrauen tatsächlich schon im ersten Lebensjahr? Sind manche durch ein behütetes und beschütztes Elternhaus mit einem besseren (Selbst-)Vertrauen ausgestattet als all jene, die sich der Zuneigung, Fürsorge und Liebe ihrer ersten Bezugspersonen nicht sicher sein konnten? Demnach sind dann die Menschen, die mit wenig Urvertrauen ausgestattet sind, um nochmal auf den von Erikson geprägten Begriff zurück zu kommen, eher misstrauisch und können nur bedingt oder kaum Nähe zulassen. In meiner Beobachtung und Erfahrung gibt es aber sehr viele Menschen, die von sich selbst sagen würden, in einem behüteten und liebevollen Elternhaus groß geworden zu sein, aber durch schlechte Erfahrungen und Prägungen über die Jahre ein schwieriges Verhältnis mit Vertrauen haben. Es fällt ihnen nicht mehr leicht, anderen Menschen zu vertrauen, Beziehungen einzugehen oder neue Freundschaften zu knüpfen. Wiederkehrende Enttäuschungen, Verletzungen und Vertrauensbrüche haben es ihnen schwer gemacht, sich wieder zu öffnen und diesen großen Vorschuss an Vertrauen zu leisten.
Was also bedarf es, um vertrauen zu können oder wieder lernen zu vertrauen? Ist es Mut? Ist es Liebe? Ist es Hoffnung oder einfach nur Zeit? Wir Menschen agieren unterschiedlich ausgeprägt, nach vier evolutionär angelegten Grundbedürfnissen: Bindung/Zugehörigkeit, Lustgewinn/Unlustvermeidung, Selbstwerterhöhung/-schutz und Orientierung/Kontrolle. Jeder von euch kennt den Spruch: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“. Kontrolle ist ein nicht unwichtiges Grundbedürfnis. Wir wollen die Welt verstehen und zukünftige Entwicklungen vorhersehen und beeinflussen können. Gewisse Situationen im Leben und zwischenmenschliche Beziehungen verlangen von uns aber zu vertrauen. Fällt uns Vertrauen schwer, so neigen wir zu vermeidenden Tendenzen, die uns abhalten, neue Wege auszuprobieren und Beziehungen einzugehen.
Die ultimative Vertrauensübung ist ein Tandemsprung. Das mag euch sehr radikal vorkommen, aber eines schönen Sommertages im Juli 2022 habe ich beschlossen, mich meiner Höhenangst zu stellen. Alles über zwei Meter wird für mich schwierig. Aus über 3000 Meter Höhe aus einem funktionierenden Flugzeug zu springen, ist eigentlich ein Wahnsinn. Ich versuche mich meinen Ängsten zu stellen und immer wieder aus meiner Komfortzone rauszukommen. Ich bin die einzige Springerin an dem Tag. Der Tandemmaster, Rainer, ein recht großer, stämmiger Mann, erklärt mir sämtliche Details zum Sprung. Ich bekomme einen dunkelblauen Overall, den ich über meine Klamotten anziehe, eine Schutzbrille. Wir starten wenig später zu dritt, der Pilot, Rainer und ich.
15 Minuten später ist es soweit, wir begeben uns in die besprochene Sitzposition, ab jetzt wird es wirklich schräg, ich nehme am Schoß meines Tandemmasters Platz, ein Mensch, den ich gerade mal eine Stunde kenne. Er schnallt einen festen Sicherheitsggurt um meinen Körper an seinen. Kalter Wind weht uns um die Ohren, denn die Jessna hat keine Türen. Wir rutschen Richtung „Ausgang“, es gibt jetzt auch kein Zurück mehr, ich bin noch immer mit Atmen beschäftigt. Wir rutschen weiter hinaus und versuchen mit den Füßen besagtes Aus-/Einstiegstreppchen zu berühren. Der Wind übernimmt und wir werden einfach weggeweht. Soviel zum Thema „Sprung“, es sollte „Vom Winde verweht“ heißen. Ein Tandemsprung ist ein unbeschreibliches Gefühl. Man kämpft gegen die recht gewaltigen Kräfte der Erdanziehung und den Luftdruck. Man rast mit ca. 200 km/h durch die Lüfte Richtung Boden. Ich bin damit beschäftigt, mir die kleinen Häuschen und die Umgebung anzusehen, die unfassbar schnell größer werden. 45 Sekunden freier Fall und mit einem raschen Ruck wird der Sprung durch den Fallschirm abgebremst. Wir gleiten dahin und landen wenig später mit einer Traumlandung am Boden. Auf mich wirkt alles sehr surreal und ich bleibe erschöpft am Boden liegen. Ich bin total überwältigt und unfassbar stolz auf mich. Ich blicke in den Himmel und fühle mich sehr lebendig. Und während ich versuche meine Eindrücke zu sortieren, habe ich nicht auf meinen Tandemmaster vergessen. Der fast 100 kg schwere Mann liegt noch immer unter mir. Ich fühle mich ihm so verbunden – und nicht nur, weil die Sicherheitsgurte noch immer fest um unsere Körper geschnallt sind. Nach wenigen Minuten vermeldet Rainer, dass er nun gerne seinen Fallschirm zusammenfalten möchte. Okaaay. Ich löse mich aus der engen Verstrickung und stehe gemeinsam mit ihm vom Boden auf.
Auf meinem privaten Instagram-Account poste ich noch am gleichen Tag ein Bild von mir mit Urkunde und halte dieses Erlebnis als „live changing experience“ fest. Mit 200 km/h Richtung Erdboden zu rasen, erscheint mir fast 2 Jahre später noch immer verrückt und dennoch glaube ich in diesem Erlebnis den Schlüssel zum Thema Vertrauen gefunden zu haben. Ich werde später nochmal darauf zurück kommen.
Ein Wechselbad der Gefühle aus Vertrauen und Enttäuschung, Hoffnung und Resignation, Liebe und Schmerz ist für mich der Film „Beautiful Boy“ von Felix van Groeningen. In dieser Vater-Sohn -Geschichte versucht David Sheff, übrigens großartig dargestellt von Steve Carell in einer ernsten Rolle, die Drogensucht seines Sohnes Nic (Timothée Chalamet) zu verstehen. Also sucht der verzweifelte Vater Rat bei Ärzten und Therapeuten, welchen Einfluss Methamphetamine, einer der gefährlichsten Drogen am Schwarzmarkt, auf das Gehirn seines Sohnes hat, rutscht sein Sohn immer weiter in die Drogensucht ab. Nic ist ein Junge, dem eigentlich alle Türen offen stehen. Mit den besten Voraussetzungen und in einem wohlbehüteten, familiären, liebevollen Umfeld, könnte er sich eigentlich zwischen den besten Schulen entscheiden, zieht es aber vor, sein Leben durch Drogen zu zerstören. Sehr bald wird klar, dass Nic vor allem mit sich selbst hadert. Er zweifelt an sich uns seine Fähigkeiten. Also versucht er der Realität entfliehen und erkennt irgendwann, dass nicht Drogen sein Problem sind, sondern er damit versucht, diese so zu lösen.
Im Fokus der Geschichte steht die großartige Verbindung zwischen Vater und Sohn, die keinen Zweifel darüber lässt, dass zwischen den beiden ein großes Vertrauen besteht. Im Laufe des Films wird dieses Vertrauen mit immer wiederkehrenden Rückfällen in Nics Drogensucht erschüttert, die Stimmung zwischen Vater und Sohn immer angespannter. Es folgen Rückblenden und Erinnerungen in die Vergangenheit, als die Welt der beiden noch in Ordnung war und Steve's „beautiful boy“ noch „alles auf der Welt“ bedeutet hat. Im Netz aus Lügen und Enttäuschungen muss der Vater dabei zusehen, wie sein Sohn immer mehr an Drogen zugrunde geht und langsam erkennen, dass er seinem Sohn wahrscheinlich nicht mehr helfen kann.
Ich werde den Verlauf der Geschichte, die auf einer wahren Begebenheit beruht, nicht vorweg nehmen. Dieser Film ist zu großartig und sollte einfach gesehen werden.
Jeder von uns kennt womöglich das Gefühl, von jemanden enttäuscht zu werden. Der Schmerz ist besonders dann groß, wenn wir das Vertrauen in wichtige Bezugspersonen verloren haben. Manchmal hinterlassen diese Kränkungen und Enttäuschungen tiefe Spuren in uns. Deshalb fällt es uns schwer, uns wieder zu öffnen und zu verzeihen. Manche Erschütterungen sind so prägend, dass wir an uns selbst zweifeln beginnen. Wir suchen die Fehler bei uns und fragen uns, weshalb wir hintergangen wurden.
Es steckt sehr viel Macht im Vertrauen. Zum einen, schenkt uns Vertrauen Sicherheit und Geborgenheit zu unseren Bezugspersonen, es ermöglicht uns die Nähe und Bindung, die für uns Menschen zu den wichtigsten Grundbedürfnissen gehört. Zum anderen kann ein- oder mehrmaliger Vertrauensbruch sehr viel zerstören und Schmerz bereiten.
Es gibt keine Anleitung für Vertrauen. Wir alle sind durch unsere Geschichten und Erfahrungen geprägt. Manchmal muss man einfach den Sprung wagen – es muss nicht unbedingt aus einem Flugzeug sein – manchmal bedarf es wieder einen Schritt auf jemand anderen zuzumachen, sich wieder zu öffnen und eine neue, ja womöglich „life changing experience“ zu machen. Ich habe mich bei meinem Tandemsprung dazu entschieden zu vertrauen, Kontrolle komplett abzugeben und eine großartige Erfahrung zu machen.
Vertrauen ist ein Geschenk, das wir jemand anderem geben. Und womöglich uns selbst. Zuerst aber müssen wir uns selbst vertrauen. Vertrauen in unsere Stärken und Schwächen, genauso wie die in unser Gegenüber. Diese Andersartigkeit und Unvollkommenheit, die uns doch - und auch den anderen - erst so liebenswert macht. Erst wenn wir den Mut besitzen und selbst anzuerkennen, wer wir sind, können wir vertrauen. Vertrauen wir in uns und unseren Fähigkeiten, können wir neue Wege gehen und Beziehungen knüpfen.
Ihr kennt mittlerweile meinen selbstironischen Zugang zum Blog-Schreiben und ich habe irgendwann akzeptiert, dass ich auch unvollkommen sein darf. Aber zum Thema Vertrauen übergebe ich das Schlusswort dann doch an den großen, einzigartigen, liebenswerten Shrek:
„You know, it may be hard to believe what with my obvious charm and good looks, but people used to think that I was a monster. And for a long time, I believed them. But after a while, you learn to ignore the names people call you. You just trust who you are.“ (Shrek - aus Shrek the Third)
Ich wünsche euch einen wunderschönen Tag
Alles Liebe
Karin
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