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Karin Ehrlich

Blog EHRLICH-KEITEN

Eltern-Wunde


Hallo und willkommen zu meinem heutigen Beitrag!


Gestern war Muttertag, ein Feiertag, dem ich wie Vatertag und Weihnachten mit ambivalenten Gefühlen begegne. An Muttertag und Vatertag ehren wir ein Elternteil, das uns mit bedingungsloser Liebe begegnen sollte, ein für mich naturgegebenes Gesetz und Geburtsrecht. Die Realität sieht jedoch anders aus.

Es scheint eine Generation an Eltern zu sein, die emotional kaum bis gar nicht verfügbar ist. Und genau diese Eltern sollen wir nun am Muttertag und Vatertag hochleben lassen?

Es mag ein Phänomen der Nachkriegsgeneration zu sein. Und mein Erwachsenen-Ich versucht somit auch gleich in den Verteidigungskurs zugunsten dieser Eltern zu gehen. Meine Eltern stammen ebenfalls aus dieser Nachkriegsgeneration. Ich durfte zumindest jeweils ein Elternteil meines Vaters und meiner Mutter kennenlernen und weiß um die Zustände dieser Zeiten bescheid. Diese (Kriegs-)Generation war auf das nackte Überleben getrimmt, führte ein Leben im Mangel und wusste oft nicht, wie sie ihre Kinder mit Essen versorgen sollten. Sie arbeiteten bis zur Erschöpfung auf dem Land und gaben alles für ihre Familie, außer Herzlichkeit, Wärme, Liebe und Nähe. Ihr Leben bestand darin zu überleben. Die Generation danach, also unserer Eltern, fühlte sich ebenfalls - und wahrscheinlich durch ihre Eltern beeinflusst - getrieben, noch mehr zu leisten und zu erschaffen. Ebenfalls bis zur totalen Erschöpfung. Im Vergleich zu meinen Großeltern und ihrer unterkühlten Art haben meine Eltern einen erheblichen Schub an emotionaler Reife durchgemacht. Doch hier endet auch wieder mein Verteidigungskurs. Es war trotzdem zu wenig. Ich spreche hier etwas nahezu Unaussprechliches aus, ein Tabuthema: unsere Eltern haben es ziemlich verkackt. Sie konnten uns nicht die Herzlichkeit und Liebe geben, die wir als Kinder gebraucht hätten.

Ich erinnere mich an Weihnachtstage als Kind und eine an das Christkind gefüllte Wunschliste wurde im Übermaß erfüllt! Berge an Geschenken türmten sich vor dem Christbaum. Als Kinder hat es uns an nichts Materiellem gefehlt. Ich erinnere mich an eine behütete Kindheit und Jugend, in der selbst teure Markenkleidung und Schuhe immer dem Trend gemäß besorgt wurden. Aber Umarmungen, Wertschätzungen, Nettigkeiten oder Lob? Daran kann ich mich kaum erinnern.


So sitze ich mit meinen Geschwistern an besagten Feiertagen mit künstlicher Freundlichkeit am Esstisch der Eltern. Eltern, die ich wir alle als wenig herzlich und liebevoll wahrnehmen. Wir Kinder erfreuen uns daran, dass an diesen Tagen zumindest immer reichlich gekühlter Sekt zur Verfügung steht. Eine Frage schießt mir dennoch durch den Kopf: „Was ist nur los mit dieser Generation?“.


Mein ambivalentes Verhältnis zu meinen Eltern ist kein Einzelfall. Wenn ich mich in meinem privaten und beruflichen Umfeld umhöre, habe ich im Vergleich zu anderen noch Glück mit meinen Eltern. Kürzlich wurde in unserer LebensberaterInnen-Arbeitsgruppe über Kontaktabbrüche zu einem oder beiden Elternteilen gesprochen. Für mich ist ein Kontaktabbruch zu meinen Eltern unvorstellbar, da ich mich trotzdem mit ihnen sehr verbunden fühle. Doch Kontaktabbrüche von Kindern zu ihren Eltern sind keine Seltenheit, obwohl es ein Tabuthema ist. Ich habe viele Geschichten von Menschen gehört, die mich erschüttert haben. Es gab Fälle von Vernachlässigung, psychischer und physischer Gewalt, Verlassenwerden, Herabwürdigungen und Beschimpfungen. Diese Eltern scheinen ihre Kinder zu verachten oder ihren eigenen Ballast auf sie zu übertragen, entweder weil sie selbst nie Liebe erfahren haben oder weil sie als Eltern überfordert waren. Diese Kinder wachsen in dem Glauben auf, nicht schön, erfolgreich, liebenswert oder gut genug zu sein. Oft kommt auch das Golden-Child-Phänomen hinzu - der Vergleich mit einem Geschwisterkind: "Schau dir deinen Bruder/deine Schwester an - er/sie macht alles richtig!"


In diesem Glaubenssatz, nicht genug, nicht schön, nicht erfolgreich, etc. zu sein, leben wir in der ständigen Angst, nicht liebenswert zu sein und uns Liebe verdienen zu müssen. Diese Glaubenssätze sind sehr hartnäckig. Verzweifelte Versuche, diese Bestätigung im Außen zu finden, ziehen sich durch alle Lebensbereiche. Es wird einem Protektionismus nachgejagt, der unglaubliche Anstrengungen nach sich zieht. Es werden berufliche Erfolge angestrebt, die irgendwann im Burnout enden. Der Selbstoptimierungswahn nimmt ungeahnte Ausmaße an. Und nicht zuletzt versuchen wir vor allem im zwischenmenschlichen Bereich, sei es in Freundschaften oder Beziehungen, diese Bestätigung und Liebe zu bekommen. Um fast jeden Preis.


Ich kenne leider viele dieser Leidensgeschichten und viele klägliche Versuche, den Mangel an elterlicher Liebe irgendwie im Leben zu kompensieren. Und egal wie alt wir sind, irgendwo tief in uns drinnen, versuchen wir es bewusst oder unbewusst, noch immer den Eltern recht zu machen. Viele unserer Entscheidungen treffen wir danach, die mit den Werten und Erziehung unserer Eltern zusammenpassen. Oder wann hast du zuletzt deinen verhassten Job von heute auf morgen gekündigt? Oder bist auf Weltreise gegangen? Oder hast deine Musikkarriere gestartet? Oder ein Buch geschrieben, eine Geschichte veröffentlicht?


„Wir wären nie gewaschen und meistens nicht gekämmt, die Strümpfe hätten Löcher und schmutzig wär' das Hemd. Wir gingen nie zur Schule, wir blieben faul und dumm und lägen voller Flöhe im schwarzen Bett herum." (Eva Rechlin aus Muttertag)

Wenn es nach meinen Eltern ginge, würde ich heute in der Raiffeisenbank arbeiten. Das würde mich wahrscheinlich nicht sehr glücklich machen, aber „ein Job in einer Bank ist sehr gut bezahlt und sicher“, haben sie gesagt. Zumindest konnte ich mich in meiner jugendlichen Rebellion für meine eigenen Interessen durchsetzen und habe das Studium gewählt und das in meinem Leben gemacht, was sich für mich richtig angefühlt hat. Ich muss aber gestehen, dass ich während meiner gesamten Studienzeit als Theater-, Film- und Medienwissenschafterin befürchtet hatte, irgendwann als erfolglose Harlekin-Darstellerin in der Gosse zu landen. Hier haben mir meine Eltern sehr erfolgreich ihre Existenzängste eingeimpft, dass ich es „mit diesem Studium zu nichts bringen“ werde. Sie haben sich zum Glück geirrt. Aber die Angst war da.


„Wir könnten auch nicht schlafen, wenn du nicht noch mal kämst und uns, bevor wir träumen, in deine Arme nähmst. Wer lehrte uns das Sprechen? Wer pflegte uns gesund? Wir krächzten wie die Krähen und bellten wie ein Hund." (Eva Rechlin aus Muttertag)

Wie also gehen wir mit dieser Vater-Wunde/Mutter-Wunde um? Versuchen wir zu verstehen, dass unsere Eltern mit all ihren Prägungen, in ihrem System, mit ihren eigenen Glaubenssätzen, mit ihrem familiären Hintergrund, der vielleicht ebenfalls sehr prekär war, Menschen mit Fehlern sind. Fehler, die durch ihre Erziehung und Werte, die sie auf den Weg bekommen haben, passiert sind. Und dass sie trotz dieser Fehler ihr Bestes gegeben haben, auch wenn das für uns nicht genug war. Womöglich waren sie selbst mit sich zu sehr beschäftigt oder überfordert und besitzen nicht die nötige Resilienz oder Empathie, um mit schwierigen Situationen umzugehen. Dies soll kein Plädoyer dafür sein, die Verletzungen der Vergangenheit – und auch Gegenwart – zu entschuldigen oder zu vergeben. Sondern die Eltern in einem anderen Licht darzustellen. Zu akzeptieren, dass Eltern Fehler gemacht haben, die aber mehr mit ihnen zu tun haben, als mit uns selbst. Akzeptieren wir, dass wir andere Werte besitzen als unsere Eltern, dass wir andere Leben führen dürfen als sie und dass wir eigene Entscheidungen treffen werden. Aber vor allem, dass wir liebenswerte Menschen sind, auch wenn uns das unsere Eltern nicht zeigen konnten. Und dass wir uns Wertschätzung und Liebe nicht erarbeiten und verdienen müssen, indem wir schneller, schöner, besser und erfolgreicher werden.

Und trotz oder gerade aufgrund eines holprigen Starts in dein Leben mit schwierigen oder gar abwesenden Eltern, darfst du dich im Sinne von Selfcare vor allem dich selbst wertschätzen und lieben.


Und falls du diesen Satz noch nie in deinem Leben von jemanden gehört hast, so möchte ich ihn dir an dieser Stelle sagen: du bist genug und liebenswert!


„Wir hätten beim Verreisen nur Lumpen im Gepäck. Wir könnten gar nicht laufen, wir kröchen durch den Dreck. Und trotzdem sind wir alle auch manchmal eine Last, doch was wärst du ohne Kinder, sei froh dass du uns hast" (Eva Rechlin aus Muttertag)

Alles Liebe und bis bald

Karin



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